Wie klingt Graz? In allen Teilen der Stadt erstaunlich ähnlich. Dort, wo Autos fahren, hört man Autos. Dort, wo keine Autos fahren, hört man die Vögel singen. Und nur selten hört man Kinder …
Die Idee der „Grazer Soundscapes“ stammt von Malik Sharif und ist die folgende: Künstler*innen aus dem Pool des freien Senders Radio Helsinki besuchen Stadtteilzentren in Graz und veranstalten dort Workshops. Gemeinsam mit Bewohner*innen dieser Bezirke nehmen sie Geräusche aus der Umgebung auf und sammeln so eine Klangkulisse der Stadt. Zu diesem Zweck wurden Aufnahmegeräte angeschafft, die man sich ausleihen konnte. Am Ende sollten daraus Radiosendungen werden. In einem der Stadtteilzentren lief die Sache zunächst auch wie geplant.
Mit dem ersten Lockdown musste das Konzept allerdings Schritt für Schritt verändert werden. „Wir wollten aber nicht pausieren“, erzählt Projektkoordinatorin Christine Braunersreuther von Radio Helsinki. „Ein Grund war, dass wir erkannten: Wir sind nun in einer besonderen Situation, die wir auch dokumentieren wollen. Durch unsere Kontakte haben wir uns Aufnahmen aus verschiedenen Ländern organisiert. Teilweise war das öffentliche Leben ja bereits völlig stillgelegt. Zusätzlich haben wir Aufrufe gestartet, um aus Graz ‚Corona-Sounds‘ zu bekommen.“
Ein weiterer Grund, die Soundscapes weiterzuführen, war ein solidarischer. Die beteiligten Künstler*innen kommen zu einem überwiegenden Teil aus dem Bereich Musik und hatten in dieser Zeit de facto einen kompletten Ausfall ihrer Einkünfte zu beklagen. Mit dem Projekt bekamen sie zumindest ein gewisses planbares Honorar. Die Idee weiterzumachen war im Nachhinein gesehen eine grandiose. Denn schon lange hat man nicht mehr so viel von Graz gehört. „Es gab ja tatsächlich kaum mehr Verkehr. Bei manchen Standorten haben wir nun einen Vergleich der Geräusche während des Lockdowns und danach. Man hört zum Beispiel auch, wie schön eine autofreie Stadt sein könnte“, sagt Braunersreuther. Was wurde alles eingesendet? Unglaublich viele Vogelstimmen. Aber auch zahlreiche Indoor-Aufnahmen, etwa von Menschen, die sich in einer Quarantäne befanden.
Wie klingt ein Lockdown?
Die Stadtteilzentren spielten auch im adaptierten Konzept als Multiplikatoren eine wichtige Rolle. Nicht jeder Bezirk hat ein solches Zentrum, die rechte Murseite ist etwas aktiver, die Innere Stadt, Andritz und Mariatrost fehlen etwa auf der Liste. Besonders engagiert beim Geräuschesammeln waren ältere Menschen, die das Stadtteilzentrum Denggenhof in der Siebenundvierzigergasse im Bezirk Gries besuchen. „Wir haben sehr einfache Aufnahmegeräte besorgt“, sagt Braunersreuther, „die Leute haben aber auch mit dem Mobiltelefon aufgenommen und manche haben auch gleich zu schneiden begonnen.“
Die „Soundscapes“ sind auf ihre Art eine schöne Ergänzung zum Projekt, das Bill Fontana für das Kunsthaus Graz realisierte. Während für den amerikanischen Künstler die Kirchenglocken in der Innenstadt überraschend dominant erschienen, hat Christine Braunersreuther nach dem Anhören Dutzender Stadtaufnahmen den Eindruck gewonnen, Graz klinge vielfältig, aber auch irgendwie „verrauscht“. Für eine Stadt dieser Größe fehle ein wenig das Bunte, das Lebendige. Was wohl auch damit zusammenhänge, dass es im öffentlichen Raum zu viel Platz für Autos und zu wenig für Kinder gebe.
Erfreulicher ist die Nachhaltigkeit, die das Projekt selbst aufweist. Die Ausstrahlung der Sendungen wurde 2021 ausgeweitet, auch sollen die Sounds in den Stadtteilzentren und im Graz Museum weiter hörbar sein. Eine Ausstellung im Museum ist für 2022 geplant. Durch die „Soundscapes“ ist es zudem gelungen, zusätzliches Publikum für das Radio und neue Sendungsmacher*innen zu gewinnen.