Camera Austria

DIE STADT & DAS GUTE LEBEN

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Das Eiserne Haus verlassen

Eine wahrlich konsequente Form der Zusammenarbeit: den eigenen Standort zu räumen, ihn freizugeben für die Ideen anderer – und sich zugleich auf die Suche nach Partner*innen an umliegenden Orten zu begeben. Die Camera Austria hat genau das für das Kulturjahr 2020 realisiert. Viele Kulturinstitutionen unternehmen derzeit „Community-Outreach“-Projekte, sagt Reinhard Braun von der Camera Austria. So untersucht etwa das 21er Haus in Wien seine Nachbarschaft. Die Camera wollte weitere Kreise ziehen, vom Bezirk Lend Richtung Reininghaus und Eggenberg, wo sich gerade sehr viel verändert. Einige der zentralen Fragen dabei: Wie groß ist die gemeinsame Stadt, wie sieht man das Zentrum von den Rändern aus? Wie weit reicht das Interesse einer Kunstinstitution über die Innenstadt hinaus?

Zuerst ging es um die Suche nach kooperationswilligen Menschen und Organisationen – und von denen fand die Camera Austria viele. Hier seien das Büro für Pessi.mismus, das StadtLABOR, das Stadtteilprojekt EggenLend, Stories2go, die Talenteküche oder die Natur.Werk.Stadt exemplarisch genannt. Um die Gegend zwischen Hauptbahnhof und Eggenberg zu untersuchen, unternahm Daniela Brasil eine Feldforschung. Spezielle Wohnformen, das Verhalten von Pendler*innen, Probleme wie Wohnungslosigkeit und Versiegelung wurden evident. In einem nächsten Schritt lud die Camera Austria engagierte Initiativen ein, Projekte vorzustellen, die bislang nicht realisierbar waren. Es gab parallel dazu Stadtteilführungen, Verkehrsflächen wurden mit sogenannten Parklets temporär zu Grünräumen, ein mobiles Kino war unterwegs, Balkone wurden zu Ausstellungsflächen. Außerdem wurden Workshops abgehalten, etwa zu Stadtteilmarkierungen, der Stadt als Gemeingut oder den Graffiti.

Wie waren die Reaktionen des Publikums auf die neuen Wege der Camera? „Wir haben bei den Parklets gesehen, etwa am Parkplatz eines großen Supermarkts in Eggenberg, dass es nicht reicht, eine Tafel aufzustellen und Grünpflanzen. Immer, wenn jemand von uns vor Ort war, gab es rege Diskussionen, es kamen mehr Leute dazu, die nachfragten und mitdiskutierten“, erzählt Reinhard Braun. „Wir haben auch gelernt, dass wir zu viel gleichzeitig gemacht haben, die Ressourcen manchmal nicht reichten. Die Kommunikation lief letztlich zumeist über die Partnerorganisationen und deren Netzwerke. Auch wenn es nicht Tausende mitbekommen haben, was wir gemacht haben, einige Hundert waren es schon und das gestiegene Interesse an einem Austausch wird wohl auch über Jahre nachwirken.“

Unkontrolliert ins Haus

Als Zeichen der Öffnung hin zur Stadt errichtete die Camera Austria für einige Wochen eine temporäre Freitreppe vor dem Eisernen Haus, die von außen in ihre Räume führte, ohne Foyer, Garderobe oder Zugangskontrolle. So gab es Gruppen von Schüler*innen, die ihre Hausaufgaben dort gemeinsam machten, andere genossen den Freiraum, auch die Klimatisierung an einem heißen Tag. Unerwarteter Nebeneffekt: Da die Treppe aus Sicherheitsgründen eine hölzerne Verschalung bekam, entstand eine inoffizielle Plakatwand, die von der Kulturszene eifrig genutzt wurde.

Wie sieht Reinhard Braun nun das gute Leben in der Stadt? „Es wird Konflikte geben rund um die Frage, was den Lebensraum Stadt überhaupt ausmacht. Sind es Oper und Kino, sind es die kurzen Wege, sind es die Gasthäuser? Es gibt einen regelrechten Kampf um die Ressource Stadt. Und was Graz angeht, so bin ich überzeugt, dass der Individualverkehr eines der größten Probleme ist, weil die Innenstadt einfach dafür nicht gebaut ist. Ich weiß auch nicht, ob es wünschenswert wäre, am selben Ort zu wohnen und zu arbeiten, wie es teilweise für Reininghaus angedacht wird. So wird doch ein städtischer Raum an sich völlig ad absurdum geführt. Und man wird sich überlegen müssen, wie die Innenstadt als Teil der Alltagskultur wieder attraktiv wird und nicht nur eine Art Ausflugsziel ist.“

(c) Projektteam Die Stadt & Das gute Leben
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Das Kulturjahr 2020 wurde unterstützt von: