Ana Jeinić

GRAZOTOPIA

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#Urbanismus    Wissenschaft

Wem gehört der Strom?

Städte sind komplexe Systeme. Doch die wenigsten Menschen sind in der Lage, entsprechend systemisch zu denken. Auch Expert*innen sehen oft nur einen Aspekt, ihr zentrales Thema, wenn sie über die Stadt nachdenken. So könnte man die Arbeitshypothese von Ana Jeinić beschreiben. Die Architektin und Philosophin bildet daher für ihr Projekt „Grazotopia“ ein breites Netzwerk, um partizipativ und interdisziplinär Ideen für eine urbane Zukunft zu entwickeln und einen Wissenstransfer zu ermöglichen. Die so entstehenden Ansätze müssen vor allem politische Relevanz haben, sagt Jeinić.

Der analytische Teil von „Grazotopia“ soll ursprünglich ein halbes Jahr dauern. Durch die Begleitumstände der Pandemie wird er intensiviert. Anschließend gibt es öffentliche Veranstaltungen, online wie offline, die „Graz Talks“ zu den Themen Wohnen, Energie und Boden. In Kooperation mit der Wand- und Literaturzeitung „ausreißer“ und der Architekturzeitschrift „LAMA“ werden zu diesen Schwerpunkten zwei Publikationen veröffentlicht. Darin sind Interviews, Essays und auch Statistiken zu finden. Es wird etwa der Frage nachgegangen, für wen heute gebaut wird, wer von Gentrifizierung betroffen ist und warum es in Graz aktuell so wenig partizipative Wohnformen gibt.

Der zweite Teil des Projekts besteht aus drei Workshops und dient der Sammlung von kollektiven urbanen Visionen, basierend auf den vorangegangenen Analysen. Im „UtopieInkubator“ treffen sich eine Woche lang Expert*innen aus Deutschland, Österreich und Kroatien virtuell und vor Ort im Forum Stadtpark. Dabei wird das Konzept „SolidarCity Graz“ formuliert. Das „Sol“ steht nicht nur für Solidarität, sondern auch für Solarenergie. Die Resultate des Inkubators werden im Forum bei einer öffentlichen Präsentation vorgestellt.

Es folgt die „UtopieSchule“, die offen für alle Interessierten ist. Lokale und internationale Fachleute tragen in dieser Schule vor und beschäftigen sich dabei mit Themen wie Stadtentwicklung, Architektur, Ökonomie, Energie und Medientheorie. Der dritte Workshop ist das „UtopieLabor“, das es den Absolvent*innen der „Schule“ ermöglicht, eigene Visionen zu entwickeln. Die Ergebnisse des Labors finden sich dann in einer zweiten Ausgabe des „ausreißers“ und werden in Kulturvereinigungen vorgestellt.

Die soziale Energiewende

Welche Probleme und Herausforderungen für Graz hat das Team bei der Auseinandersetzung erkannt? Ana Jeinić nennt einige Beispiele: „Beim Thema Wohnen haben wir durch die Recherchen bestätigt, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich die Mieten nicht leisten können. Graz hat den Ruf, dass sich hier die Immobilieninvestitionen lohnen. Das bringt aber den Menschen, die hier wohnen, keine Vorteile, im Gegenteil. Der gleichzeitige Leerstand hat ökologische und soziale Folgen. Alle Versuche, die genauere Zahl der leer stehenden Wohnungen zu erheben, sind übrigens gescheitert, da gibt es offenbar größere Widerstände.“

Während eine Architektin wie Ana Jeinić sich natürlich mit Bauen intensiv beschäftigt hat, sagt sie zum Thema Energie: „Zunächst ist uns aufgefallen, wie wenig wir darüber wissen, das gilt wohl auch für die Bevölkerung. Strom ist eine Selbstverständlichkeit. Nur wenige sind sich im Klaren, wem genau die Infrastruktur gehört, wo Strom und auch Fernwärme wirklich herkommen. Die Energiewende, auch die dezentrale Produktion, die alle begrüßen, das könnte leicht zu einer Zweiklassengesellschaft führen.“ Ein Thema, das laut Ana Jeinić bislang gar nicht diskutiert wird, ist die Bodenspekulation: „Ich kenne diesbezüglich keine Proteste, obwohl das etwas ist, das die allermeisten von uns betrifft.“

Auch wenn die Zukunft bekanntlich eine unsichere Größe ist, eines scheint gewiss: Ana Jeinić, die seit Sommer 2021 im Forum Stadtpark für Architekturbelange zuständig ist, wird über das Kulturjahr hinaus an urbanen Utopien und solidarischen Modellen weiterarbeiten.

Ana Jeinic Grazotopia Terrassenhaussiedlung
(c) Julia Gaisbacher (Studie Terrassenhaussiedlung, 2014)
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  • (c) Carlotta Bonura

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  • (c) Martin Grabner

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