Adina F. Camhy, Robin Klengel, Coline Robin und Markus Waitschacher

GRAZRAND

#Urbanismus    Bildende Kunst Wissenschaft

In sieben Tagen um die Stadt

 

„Was lernen wir über eine Stadt, wenn wir sie von ihrer Grenze aus betrachten?“

Diese Frage findet sich zu Beginn des Buches „GrazRand“, das vier junge Künstler*innen und Forscher*innen mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt haben und das von Elisabeth Fiedler herausgegeben wurde. Im Sommer 2020 sind Adina Camhy, Robin Klengel, Coline Robin und Markus Waitschacher eine Woche lang mit Rucksack und Zelt unterwegs. Sie umrunden die Stadt so exakt wie möglich, legen in Summe sogar 96 Kilometer zurück, obwohl die Grenze selbst „nur“ 66 Kilometer lang ist. Und sie bringen viel Erstaunliches mit: Fotos, Skizzen, diverse Fundstücke, Geschichten, Zahlen und Fakten, architektonische Impressionen und soziologische Einblicke wie diese:

„Eine Allee führt uns zu einer modernen Villa, dahinter ist ein türkiser Swimmingpool zu sehen. Der Eigentümer, ein älterer Mann, erzählt uns stolz, wie weit er von seinem Schlafzimmer aus sehen könne. Am Stadtplan zeigt er uns sein Grundeigentum, das neben mehreren Häusern, Stallungen und Koppeln auch viel Wald umfasst. Auch über seine Nachbarschaft erzählt er uns. (…) In seiner Erzählung wird ein auffälliges soziales Gemenge deutlich, das am Stadtrand oft zu beobachten ist.“

Wie sieht die Landschaft an der Peripherie aus? Mehr als 45 % der Randgebiete bestehen aus Wald, große Straßen bilden fast 10 %, die dominierende Wohnform ist das Einfamilienhaus. Oft sind die Grenzsteine schwer zu finden, ohne elektronische Hilfsmittel wäre die Tour in dieser Form kaum möglich gewesen, erzählt Robin Klengel. Markus Waitschacher fügt warnend hinzu, dass sich mögliche Nachahmer*innen auch auf Wanderungen durch Brennnesselfelder gefasst machen sollten, auf steile und rutschige Hänge, Erdwespen, Zecken und auf einige weniger freundliche Grundbesitzer*innen. Erfreulicherweise kommen die vier auf ihrer Umrundung aber doch mit vielen Menschen ins Gespräch, werden auf ein Getränk eingeladen und befragt. Als hilfreich erweist sich die „Kostümierung“: Die vier tragen T-Shirts, auf denen die Umrisse der Stadt zu sehen sind, das Zentrum bleibt leer.

Ein Leben an der Grenze

„Einige waren erstaunt, dass die Stadtgrenze genau an ihrem Grundstück verläuft“, erzählt Waitschacher. „Andere wissen das sehr wohl. Eine Frau hat uns gesagt, dass sie bewusst über der Grenze wohnt, weil es in Seiersberg etwas günstiger ist“, fügt Klengel hinzu. „Wir sind eigentlich unglaublich viele Grenzen abgegangen“, sagt Camhy, „denn die Stadtgrenze ist zugleich die Bezirksgrenze, die Grenze der umliegenden Gemeinden und die Grundstücksgrenze. Einmal verlief die Grenze sogar mitten durch ein Haus.“ Während das mediterrane Klima am Südhang der Kanzel Adina Camhy besonders positiv aufgefallen ist, erlebte sie die gehsteiglose Riesstraße mit den rasenden Autos als sehr bedrohlich. Der Stadtrand sei überhaupt recht oft leider nicht für Fußgänger*innen gedacht.

Im Buch kann man den Tagesetappen folgen, die Skizzen dazu fertigte Coline Robin an. Die Begegnungen illustrierte Camhy und die zeichnerischen Ortsporträts fertigte Klengel an. Dazu gibt es Texte aus historischer, biologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive. Und eine Postkartenserie, die als Statement verstanden werden kann. „Warum ist auf herkömmlichen Ansichtskarten immer das Zentrum zu sehen? Warum gibt es keine Karten von Wahrzeichen am Stadtrand?“, fragt Robin Klengel. Ist Graz nach den Erkenntnissen der vier Forscher*innen eigentlich eine offene Stadt? „Mir sind schon eher die ‚Betreten verboten‘-Schilder in Erinnerung als freie und allgemein nutzbare Flächen“, resümiert Waitschacher.

GrazRand ist eine Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark (KiÖR), mit dem Haus der Architektur (HDA), dem Webportal www.gat.st und den Grazer Soundscapes auf der Frequenz von Radio Helsinki. Das sehens- und lesenswerte Buch gibt es bei den Künstler*innen, im HDA und im KiöR.

(c) Lena Prehal
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Das Kulturjahr 2020 wurde unterstützt von: